Rede zum Tag der politischen Gefangenen 2022

Vor einigen Monaten, daran können sich vielleicht einige hier noch erinnern, ging die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze durch die Medien: People on the Move, flüchtende und migrierende Menschen versuchten, die Grenze zu Polen zu überqueren. Neben den üblichen Pushbacks, also dem gewaltvollen Zurückdrängen an den Grenzen durch Polizei, Militär und Grenzschutzbehörden, reagierte die polnische Seite auf die Situation mit dem Einsatz von Wasserwerfern. Wasserwerfer gegen Menschen, die ohne Wechselkleidung bei Wintertemperaturen in Wäldern ausharrten, zu denen Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ der Zugang verhindert wurde. Über den Winter starben im polnischen Grenzgebiet mindestens 21 Menschen.

Die Situation in Polen dauert an, berichtet aber wird mittlerweile kaum noch über sie. Das ist nichts Neues. Die Grenze Polens nach Belarus ist nur eine von vielen außereuropäischen Grenzen, die systematisch in der Berichterstattung europäischer Medien vergessen, ignoriert und unterbelichtet wird.

Diejenigen, die es schließlich über die hochgerüsteten Grenzen Europas schaffen, landen anschließend häufig im Knast! Warum, fragt man sich? Weil Dinge, die wir für selbstverständlich halten, an den Grenzen Europas zu einem Politikum werden: Freunden, der Familie, einem Job oder auch der Idee eines schöneren Lebens hinterherzuziehen wird an der Grenze zu einem Kampf um Bewegungsfreiheit, einem politischen und emanzipatorischen Kampf gegen ein ganzes System! Und gerade deswegen wird dieser Kampf kriminalisiert. Im polnischen Grenzgebiert allein sind daher derzeit rund 1700 Menschen in insgesamt acht Internierungszentren, also Abschiebegefängnissen, festgesetzt.

Überall an den europäischen Grenzen existieren diese Gefängnisse. Sie sind notwendig, um die wirtschaftlich geplante Migration zu steuern. Das heißt, Menschen in brauchbare und unbrauchbare Arbeitskräfte zu unterteilen, und diejenigen die überschüssig sind, auszusortieren. Gefängnisse, nicht nur in den Grenzregionen, dienen damit also als Mittel, um überflüssige Menschen zu absorbieren, und – was nicht-Europäer*innen betrifft –  sie anschließend aus dem eigenen Wirtschaftskosmos abzuschieben. Überflüssig sind sie natürlich nur in dem kapitalistischen, rassistischen, postkolonialen System, welches den Namen Europäische Union trägt.

Wenn wir heute also am Tag der politischen Gefangenen über diejenigen Menschen sprechen, die hinter Gittern isoliert werden sollen, abgeschirmt von unserer Aufmerksamkeit, um vergessen zu werden, dann wollen wir auch diejenigen bedenken, die in den Sammel- und Abschiebeknästen sitzen, um aus der Festung Europa ausgeschlossen zu werden.

Wie immer gilt: Resignation ist keine Option. Wir müssen uns vielmehr langfristig mit der Frage befassen, wie wir das Bollwerk Europa als europäische und migrantische Linke angreifen können. Denn die Migration wird in den nächsten Jahrzehnten nicht weniger werden.  

In unserer Zeit werden Klimawandel, Kriege und die fortschreitende wirtschaftliche Ausbeutung im globalen Süden, bedingt durch die Politik des globalen Nordens, also europäischen Ländern, weiterhin Migration hervorbringen – und zwar fast immer eine unfreiwillige. Die neokoloniale, ausbeuterische Politik der europäischen Staaten anzugreifen, muss daher ein wichtiger Grundpfeiler unserer politischen Arbeit sein. Konkret kann das heißen, Rüstungsexporte anzugreifen oder die Nutzung fossiler Energieträger zu bekämpfen!

Gleichzeitig müssen wir als Linke wieder stärker daran arbeiten, uns konkret mit dem derzeitigen Grenzregime auseinanderzusetzen und gemeinsame Strategien zu diskutieren, dieses anzugreifen. An den europäischen Grenzen werden Menschen entrechtet und willkürlicher Gewalt ausgesetzt. Lager, militarisierte Grenzgebiete und Gefängnisse schaffen eine Isolation, die nur gemeinsam durchbrochen werden kann. Die widerständige Praxis von People on the Move muss daher ihren Widerhall in linken Praxen in den europäischen Städten und Zentren finden.

Vor den Abschiebegefängnissen in der westpolnischen Stadt Krosno Odrzańskie gab es in den vergangenen Monaten zahlreiche Proteste. Diese wurden von den polnischen Polizeikräften, unterstützt durch ihre deutschen Kolleg:innen, oft brutal beendet.

Solidarität könnte praktisch heißen, Kontakt zu den Genoss:innen vor Ort aufzunehmen oder Gefangene zu kontaktieren. Sich als Linke Europaweit zu vernetzen und mal erneut Internationale Vernetzungscamps gegen rassistische Grenzregime durchzuführen. Gegen das Vergessen, für die internationale Solidarität mit allen Menschen auf der Flucht braucht es unsere gemeinsame Antwort: heute am Tag der politischen Gefangenen und jeden Tag! Hoch die internationale Solidarität!